Virtuelle Messen

Virtuelle Messen

Einige Messegesellschaften verschieben derzeit ihre Veranstaltungen in den virtuellen Raum. Waren Sie schon Besucher einer virtuellen Messe? Schauen wir uns anhand eines Beispiels an auf was es ankommt und wie diese Veranstaltungen funktionieren.

Deutschland ist Messe-Weltmeister: 2/3 der weltweiten Leitmessen finden in Deutschland statt, 4 der 10 weltgrößten Messegelände stellt Deutschland – so die AUMA. Und wir alle kennen die vielen Spezialmessen, die zwar wenig Geländeplatz benötigen, aber dennoch internationales Publikum anziehen, wie beispielsweise die Leistungselektronikmesse PCIM mit ihren knapp zwei Hallen (die übrigens 2020 auch online stattfinden wird).
Sind virtuelle Messen nur ein Lückenfüller oder darf man die Frage andersrum stellen: Welche, nennen wir sie Präsenzmessen, haben von der 2020-Krise abgesehen auch in Zukunft ihre Berechtigung, wenn man Aufwand und Kosten betrachtet und zu digitalen Kommunikationsformen ins Verhältnis stellt? Kann eine digitale Messe eine Alternative sein?

Die Idee zur Realisierung der Virtual Lab Show entstand erst im März dieses Jahres, als immer mehr Messen verschoben oder abgesagt wurden. Sie hatte 100 Aussteller, 7.800 Besucher und 10.000 Vortrags-Anmeldungen an vier Tagen. Das ist enorm, vor allem wenn man bedenkt, dass sie innerhalb von 4 Wochen auf die Beine gestellt wurde. Ich habe mich auf dieser Onlineveranstaltung im April umgesehen und möchte meine Eindrücke, das Feedback eines Ausstellers wie auch Tipps des Veranstalters wiedergeben.

#1 Benutzerführung
#2 Übersichtlichkeit
#3 Präsentation der Messestände
#4 Kommunikation auf dem Stand
#5 Kosten
#6 Tipps und Details vom Veranstalter
#7 persönliches Fazit

 

#1 Benutzerführung: Willkommen


Auf der Virtual Lab Show gab es schon mal keine lange Anfahrtsschlange, das Auto blieb in der Garage und die Registrierung war schnell erfolgt.

Positiv überrascht hat mich die Lobbyanmutung; man versucht eine virtuelle Messeatmosphäre zu kreieren, um die Besucher vor den Bildschirmen einzustimmen.

#2 Übersichtlichkeit

Auf dem Lobbybild ist das erkennbar, was die virtuelle Messe grundlegend von der Präsenzmesse unterscheidet: das schnelle Auffinden von Informationen. Es gibt eine Hallenübersicht, einen Link zu Vorträgen (die auf verschiedene Tage verteilt stattfinden) und einen sofortigen Zugriff zu jeglichen Produkt-Premieren.
Darüber hinaus navigieren Besucher über die Menüführung zu Ausstellern und Kategorien, ähnlich wie in einem Messekatalog. So schnell waren Sie noch nie in einer Halle…

Lobby, Hallenübersicht, 3 Produkt-/Leistungskategorien plus Premieren und Vorträge. Alles auf einen Blick ersichtlich und per Mausklick erreichbar.

#3 Präsentation: auf dem Messestand

Jetzt kommen wir zu einem Punkt, bei dem die virtuelle Messe Nachteile hat: die Messestände sehen nahezu gleich aus und als Besucher ist es nicht wirklich möglich, ein Gefühl für das Unternehmen auf dem Bildschirm zu entwickeln. Eindeutigen Nachteil haben hier Firmen, die sich ansonsten sehr viel Mühe für Produktpräsentation, Stil und Design ihres Messestandes geben und allein mit dem ersten, visuellen Eindruck schon punkten. Zwei Aussteller als Beispiel:

Sich aus der Masse hervorzuheben bedeutet hier auf den Punkt genau zu texten, und mit passender Bildsprache zu locken. Beides ist bei einer virtuellen Messe ausschlaggebend. Hier kann kein Vertriebsmitarbeiter hinterherrufen oder gar laufen (alles schon erlebt): wer weggeklickt hat, ist weg, denn zufällig kommt der Betrachter nicht nochmal vorbei. Einen Standplatz, der aufgrund von Größe oder Platzierung untergehen könnte, gibt es auf der virtuellen Messe im Grunde nicht.
Auf einer Präsenzmesse kann der Standplatz jedoch erfolgsentscheidend sein. Und wer schon einmal versucht hat, auf einer SPS oder Hannover Messe ohne jährliche Teilnahme einen guten Platz zu ergattern, weiß wovon ich schreibe: es ist nahezu unmöglich. Für kleinere und mittelständische Unternehmen ist dies ein Nachteil, da sie aufgrund geringer Standgröße nicht zu den A-Kunden gezählt werden.


Beispiel einer Produktpremiere

#4 Kommunikation auf dem Stand

Nachdem ich ein paar Sekunden auf dem Sartorius-Stand verweilt habe, wurde ich von einem Vertriebsmitarbeiter per Chatfunktion angesprochen. Erstmal musste ich Jakob Schnar vermutlich enttäuschen, denn ich bin ja kein potenzieller Kunde. Aber er war so freundlich und hat meine Frage nach seinen Erfahrungen mit der Messe durchweg positiv beantwortet:

 

An dieser Stelle nochmals danke für diesen freundlichen Kontakt. Ich muss jedoch sagen, dass ich bei jedem Aussteller sofort eine Reaktion ausgelöst habe: der Kontakt war da und auch wenn die Optik ein wenig an die Fake-Mitarbeiter von Chatbots erinnert, man agiert hier mit echten Menschen, die auf individuelle Anfragen auch individuell reagieren.

Die Schnelligkeit, also das sofortige Reagieren auf jeden virtuellen Besucher, ist sicherlich eine Aufgabe für den Vertrieb und es stellt sich die Frage, ob das „Standpersonal“ hier nicht genauso viel zu tun hat. Meine Erfahrung war, dass die Vertriebsleute wechseln, also nicht eine Person den ganzen Tag sofort im Chat reagieren muss.

#5  Kosten

Wenn wir die Vertriebsaktivität der Präsenzmesse gegenüberstellen, so kommt hier augenscheinlich ein großer Kostenvorteil zum Tragen:
Der Aufwandsblock einer Präsenzmesse ist nicht nur in Bewerbung, Teilnahmegebühr und Standbau zu finden, sondern in den Reisekosten samt Reisezeit, den – teilweise horrenden Hotelübernachtungsgebühren – und wenn man noch weiter denkt in der permanenten Abwesenheitszeit von Vertriebs-, Produktmarketing- und Marketingmitarbeitern, die möglicherweise nicht dauerhaft zu tun haben. Nicht zu vergessen die zusätzlich notwendigen Mitarbeiter für Standbetreuung etc. Die Personalkosten machen sich vor allem dann bemerkbar, wenn der Stand nicht gut frequentiert ist.
Wenn allerdings vor dem Computer nichts passiert, kann sich der Vertriebsmitarbeiter oder der Kollege aus der Entwicklungsabteilung einfach um etwas anderes kümmern.

Die Kosten auf der Virtual Lab Show lagen laut Veranstalter zwischen 3.500 EUR und 10.000 EUR, abhängig von den optionalen Bestandteilen, die gewählt wurden, dennoch hinkt der direkte Vergleich zu einer Präsenzmesse natürlich sehr.

#6 Tipps und Details vom Veranstalter

Welche Tipps gibt der Veranstalter nach dieser ersten Erfahrung? Ich habe Dr. Michael Schreiber, Vorstand von Lumitos gefragt.

Herr Dr. Schreiber, auf was müssen Aussteller achten, was empfehlen Sie?

Die Fokussierung auf das Wichtigste ist eine Herausforderung für den Aussteller, denn es kann nicht wie bei einer Präsenzmesse eine Vielzahl von Produkten auf dem virtuellen Stand gezeigt werden. Für den Besucher hat es aber den großen Nutzen, dass er nur die im Augenblick wichtigsten Produktlösungen und Innovationen präsentiert bekommt. Er kann sich daher in kurzer Zeit einen konzentrierten Überblick verschaffen.

Für die Kommunikation und Interaktion sind nutzenbezogene Dokumente zum Download nötig und Videos von Vorteil. Es sollten anwendungserfahrene Mitarbeiter für die Chat-Funktion bereitstehen, um gleich qualifizierte Leads entwickeln zu können.

Die hohe Interaktion mit den Vorträgen hat gezeigt, dass es Sinn hat, wichtige Themen auch als Vortrag/Webinar parat zu haben.

Die Virtual Lab Show fand ausschließlich in deutscher Sprache statt. Wie hoch war der Anteil der ausländischen Besucher?

Neben Deutschland waren vor allem Österreich und die Schweiz stark vertreten. Überraschend war für uns, dass wir insgesamt Besucher aus mehr als 80 Ländern hatten.

Wie wurden die Vorträge von den Besuchern angenommen?

Das war erstaunlich gut. Wir hatten viele Vorträge mit mehr als 100 Besuchern, teilweise sogar mehr als 300. Zum Besuch und der Teilnahme an Vorträgen war nur eine Registrierung erforderlich, es gab keine Teilnahmegebühr.

Laufen Sie mit derartigen Veranstaltungen nun der Präsenzmesse den Rang ab?

Nein, auf keinen Fall. Das Format der Virtual Lab Show ersetzt eine echte Messe als Branchentreffen mit all ihren persönlichen Kontakten nicht. Die virtuelle Messe fokussiert vielmehr auf das Wichtigste und erlaubt die digitale Interaktion mit Anwendern und Interessenten, die sonst keine Möglichkeit gehabt hätten, zur Messe zu kommen.

#7 Persönliches Fazit

Es ist generell in der Kommunikation so, dass nicht jedes Konzept und jede Vorgehensweise für jede Firma taugt; noch nicht mal wenn die Produkte die gleichen sind. Das gilt auch für Veranstaltungen. Im Zweifelsfall sollten wir neue Ideen ausprobieren und eigene Erfahrungen sammeln. In jedem Fall ist bei einer virtuellen Veranstaltung deutlich weniger Geld investiert.

Es muss jedoch klar sein, der persönliche Kontakt, der emotionale Moment, der alljährliche Plausch mit dem guten Geschäftspartner: All diese so wichtigen weichen Faktoren, die zwar nicht in Zahlen gemessen werden können, aber dennoch einen hohen Erfolgsfaktor von Präsenzmessen ausmachen, sind mit einer virtuellen Messe nicht kompensierbar.

Michaela Wassenberg, im Mai 2020

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